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Freitag, 29. März 2024
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Geschrieben von Hannes Denzel   

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Hannes Denzel berichtet über eine Husqvarna Model 610 1000sv Baujahr 1928

Wer bei Nennung des Namens Husqvarna an Rasenmäher und Motorsägen denkt, hat so unrecht nicht. Motorradfans erinnern sich aber eher an die schwedischen Gatschhupfer, die in den 60er- und 70er-Jahren die Motocross-Meisterschaften dominierten, und die wissen natürlich auch, dass die Marke auch heute noch sehr erfolgreich im Off Road Sport tätig ist – z.B. bei der Dakar Rallye – und dass diese „Schweden“ jetzt in Österreich hergestellt werden. 2013 hat die Pierer Industries AG, zu der ja auch KTM gehört, die Marke Husqvarna gekauft. Weitaus weniger bekannt ist aber, dass Husqvarna als Motorradhersteller heuer – 2018 – bereits seinen 115. Geburtstag feiert und 1903 sein erstes motorisiertes Zweirad hergestellt hat – auch wenn das nicht viel mehr als ein Fahrrad mit Hilfsmotor war. Es hat aber nicht lange gedauert, bis „da oben im Norden“ mächtige Straßenmotorräder mit bis zu einem Liter Hubraum entstanden sind. Einem dieser Superbikes, das heuer auch schon 90 Jahre alt wird, sind wir mit der Kamera zu Leibe gerückt.


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Es mutet schon etwas skurril an, dass ein in die Staaten ausgewanderter Schwede – Indian Mitbegründer Carl Oscar Hedström – maßgeblich zum Image des schweren, amerikanischen Motorrads beitrug, das später dann zum Vorbild der Produkte des führenden schwedischen Zweiradherstellers wurde.


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Huskvarna (mit K) heißt ein schwedischer Ort (der 1970 mit Jönköping zusammenwuchs), in dem seit 1699 die gleichnamige königlich schwedische Waffenfabrik ihren Sitz hat. Gewehre aus diesem Unternehmen gingen anfangs an die schwedische und norwegische Armee, später auch an (Elch)Jäger. Im 19. Jahrhundert suchte das Unternehmen neue Produktlinien und fand sie in Form von Haushaltsgeräten aller Art, Nähmaschinen und Fahrrädern. Es war eine logische Entwicklung, dass bald – 1903 – auch Motorräder gebaut wurden. Die Aggregate dafür wurden zugekauft und kamen von FN, Minerva, NSU und Motosacoche. 1910 entstand die erste Zweizylindermaschine, die von einem Moto-Reve Aggregat aus der Schweiz angetrieben wurde. 270 Kubik hatte dieses Modell 65, dem erst im Kriegsjahr 1917 eine gespanntaugliche 500er folgte, der Typ 70. Die Seitenwagen – aus Blech oder mit Korbsitz – entstanden im Werk, Auftraggeber war die Armee. Und die wünschte sich, dass die kompletten Motorräder bei Husqvarna (als Firmenname mit Q) entstehen sollten – weshalb Ingenieur Gustav Göthe mit der Entwicklung auch eines Motors betraut wurde. Unschwer zu erkennen, dass Göthe mehr als nur einen Blick auf amerikanische Motorräder von Indian, Harley oder Excelsior geworfen hatte. Um sich die anzusehen, musste er nicht über den Teich reisen, sie waren sehr beliebt und durch ein flächendeckendes Vertriebsnetz damals in Skandinavien vertreten. Kein Wunder, stellten dort die unbefestigten Wegstrecken und die weiten Distanzen doch die selben Anforderungen an die Robustheit des Materials wie drüben in den USA.


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Etwas verwirrend die Typenbezeichnungen: das Modell 150 kam 1919 und hatte einen 550 ccm großen V-Motor mit stehenden Ventilen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die 150er kontinuierlich bis zum Modell 200, 1921 wurde ihr mit dem Modell 500 eine 1000er zur Seite gestellt, die primär für den Gespannbetrieb entwickelt wurde. Der Zylinderwinkel des ebenfalls seitengesteuerten V-Motors betrug 50°, mit 79,5 x 100 mm war er langhubig ausgelegt.


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20 PS bei 3200 Umdrehungen leistete die 1000er, die genau genommen exakt 992 ccm Hubraum bot. Auch sie wurde ständiger Modellpflege unterworfen, kam 1927 als 600er mit Satteltank und 1928 als 610er mit elektrischer Beleuchtung (von Bosch).


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Eine solche 610er sehen wir hier und können sie deshalb auch im Detail betrachten. Was wir dabei auf den Bildern nicht wirklich erkennen, sind die wuchtigen Dimensionen der Maschine, die im Gesamtbild nämlich sehr harmonisch wirkt. Das kommt von den großen 29”-Rädern, die üblicherweise an Autos dieser Epoche verwendet wurden, speziell wenn sie für den Einsatz auf Rüttelstrecken konzipiert waren. Unerschütterlich auch das Fahrwerk, „Schwedenstahl“ ist ja nicht von ungefähr ein Synonym für höchste Robustheit und Qualität – und von wegen robust: alleine die Kurbelwelle wiegt stattliche 15 Kilo!


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Setzt man sich in den Sattel dieses mächtigen Fuhrwerks, fühlt man sich mehr als Maschinist denn als „gewöhnlicher Motorradfahrer“. Alle Greif- und Gehwerkzeuge sind gleichermaßen beschäftigt, um das schwere Gerät am Laufen zu halten: der Gasdrehgriff sitzt zwar wie gewohnt rechts – dort befindet sich auch der Hebel für den Ventilausheber – die linke Hand zieht allerdings nicht die Kupplung (die wird mit dem linken Bein über eine Wippe betätigt), sondern verstellt über einen Drehgriff die Zündung. Die linke Hand wechselt zudem zwischen dem Schaltknauf, der aus einer Kulisse am Tank aufragt und in drei Gangstufen führt, und der Handbremse. Der rechte Fuß bleibt auch nicht untätig, er muss rechtzeitig den Bremshebel finden – die Wirkung des Stahlbands auf die 180 mm große Trommel wollen wir aber nicht im Ernstfall testen.


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Für die Schmierung des Triebwerks ist eine Best & Lloyd-Ölpumpe zuständig. Sollte die Husqvarna einmal zusätzliche Unterstützung benötigen, hat sich Ingenieur Göthe ein besonderes Gimmick einfallen lassen: im Öldeckel am Tank sitzt eine Spritze, die sich entnehmen lässt, um über den Zischhahn den Zylinder zuzufüttern. Aus den USA selbst stammen der Schebler Vergaser und der Tacho von Stewart & Clark aus Chicago – den man allerdings auf den Fotos nicht erkennen kann, weil er zum Zeitpunkt des Fotoshootings noch in der Werkstatt des Besitzers auf die Montage wartete.


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Der Besitzer heißt Markus Kremshuber und lebt im Kremstal, ist Mitglied des gleichnamigen Motor-Veteranen-Vereins. Markus hat ein Faible für exotische Zweiräder – ein Attribut, das auf eine Husqvarna durchaus zutrifft – und stieß im Zuge seiner Suche zuerst auf ein unrestauriertes Modell 150, eine 550er aus 1922, die er auch kaufte. Deren Zustand war aber so verschnitten, dass es ihm ratsam schien, die Finger davon zu lassen und sie an jemanden weiterzugeben, der sich besser imstande sah, passenden Ersatz für die vielen falschen Teile aufzuspüren, die die Husqvarna verunzierten. Gleichzeitig schaute er sich nach Ersatz um und fand ihn in Deutschland in Form dieses 610er-Modells mit einem satten Liter Hubraum. Vom Erhaltungszustand war sie der 550er ähnlich, was seinem Wunsch, sie zwar fahrbereit zu machen, aber derart patiniert zu belassen, entgegenkam. Die gemachten Erfahrungen mit der kleinen Schwester rieten ihm aber dazu, zumindest in den Motor „hineinzuschauen“ – er bewies damit den richtigen Riecher, denn dabei zeigte sich, dass die Schwedenbombe eher einem Blindgänger glich, die vermutlich lediglich als Museums-Ausstellungsstück zusammengesteckt worden war, und so niemals die Anforderungen des Straßenbetriebs hätte erfüllen müssen, und schon gar nicht hätte erfüllen können.

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