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Donnerstag, 25. April 2024
Das Auto meines Vaters Drucken E-Mail
Geschrieben von Otto G. Lauinger   

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Wie ein gelernter Elektriker und Mechaniker aus technischem Interesse und finanziellen Nöten sich sein eigenes Auto baute …

Die Familiengeschichte

Mein Vater, Otto Lauinger sen., wurde 1912 in Eschelbach, Baden- Württemberg, heute Stadtteil von Sinsheim an der Elsenz, im Kraichgau (Technik Museum) geboren. Er absolvierte dort eine Lehre als Elektriker. Nach seiner Lehre wanderte er als 19-Jähriger im Jahr 1931 von Deutschland in die Niederlande aus, quasi als Gastarbeiter. Dort wohnten schon seine Geschwister, die wohl auch aus wirtschaftlichen Gründen dorthin ausgewandert waren. In den Niederlanden fand er unter anderem Arbeit bei einer Opel-Werkstätte in Wormerveer und im Zusammenhang damit besuchte er im Jahre 1934 die Opel-Werks-Service-Schule in Rüsselsheim und absolvierte dort den Kurs für „alle Opel-Wagen“. Sein Diplom und die Auszeichnungs-Anstecknadel hängen stolz in meinem Büro.


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Er heiratete eine niederländische Frau und sie bekamen eine Tochter, Machteld, geboren im August 1940. Da bereits im Mai 1940 die Deutschen in die Niederlande einmarschiert waren, ist es mir sehr verständlich, dass der Vater schwarz weiterarbeitete (er hatte noch immer die deutsche Staatsbürgerschaft, da es in der Zeit nur möglich war, nach einem Aufenthalt von mindestens zehn Jahren die niederländische Staatsbürgerschaft zu beantragen). Er fand Unterstützung bei dem Linien-Autobus-Unternehmen „Maarse & Kroon“ in Amstelveen (angrenzend an Amsterdam), wo er als Techniker arbeitete und er die Busse auf Gasgenerator-Antrieb umbaute, da Benzin nicht mehr genügend vorhanden war. Vermutlich angezeigt, wurde er im Jahr 1942 von den Deutschen aufgegriffen.


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Nach dem Krieg wäre ihm die Einreise von den Niederländern erlaubt worden, er bekam jedoch längere Zeit, bis 1947, keine Ausreisegenehmigung aus Deutschland (britische Zone). Seine niederländische Ehefrau hatte in den Kriegsjahren einen anderen gefunden, sodass die Ehe getrennt wurde.


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In dieser Zeit nach dem Krieg arbeitete er zeitweise in Bracht, nahe der niederländischen Grenze bei Venlo, in der Opel-Werkstätte Heinrich Dohmen in Kaldenkirchen und zeitweise in seinem Geburtsort als Linienbusfahrer, nachdem der private Bus, bei Kriegsanfang zerlegt, wieder aufgebaut worden war. Während einer der Fahrten lernte er meine Mutter kennen. Ihr Mann war im Krieg gefallen und sie hatte eine kleine Tochter, Gabi, die den Vater wohl sehr an seine eigene Tochter erinnerte, die er ja auch schon seit vielen Jahren nicht mehr sehen konnte. Sie heirateten im Jahr 1949. Mutter kam aus Dühren, Nachbarort von Vaters Geburtsort und heute ebenfalls Stadtteil von Sinsheim.


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Der Vater hatte im Jahr 1947 endlich die Ausreisegenehmigung erhalten und wohnte bei seiner Schwester in Krommenie, nördlich von Amsterdam. Er hatte ein tolles Angebot aus Kaldenkirchen bekommen, habe die Korrespondenz noch hier irgendwo rumliegen, Werkstattleiter bei einer Opel-Filiale von Heinrich Dohmen, aber seine Tochter zog ihn wohl zurück in die Niederlande. Meine Mutter und ihre Tochter durften erst im Jahr 1950 nachkommen (war alles nicht so einfach nach dem Krieg …). Meine Eltern und Geschwister zogen 1951 nach Alkmaar, wo Vater eine Stelle in einer Motorradwerkstätte als Werkstattleiter bekommen hatte, die ihm auch eine Mietwohnung zur Verfügung stellten. Dort wurde ich im Jahre 1951 geboren. Im Jahr 1957 zogen wir um nach Heiloo, wo die Eltern mit viel „links und rechts“ geliehenem Geld ein Haus kaufen konnten. Der Vater ist dort 1983 verstorben, die Mutter 2010.


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Mein Vater wollte gerne, dass ich ein Elektronik- Studium an der Hochschule in Delft gemacht hätte, aber er akzeptierte und respektierte, dass die Elektronik nicht mein unbegrenztes Interesse hatte. Ich habe in Alkmaar als 17-Jähriger am Gymnasium die Matura gemacht, war zu jung für die Pilotenausbildung und arbeitete ein Jahr lang in einem Stahl-Hüttenwerk in IJmuiden. Mit 18 habe ich eine staatliche Ausbildung als Zivilpilot gemacht, arbeitete von 1972–1978 beim Charterunternehmen Transavia am Amsterdamer Flughafen Schiphol und von 1978– 2007 bei der KLM, wo ich 2007 als Kapitän der Boeing 747-400 in Pension gegangen bin. In dem Transavia-Gebäude war auch die niederländische Autobahn-Polizei („Rijkspolitie“) untergebracht, die in weißen Ledermänteln und orangen Helmen im Porsche Targa unterwegs waren. Sie waren es, die mir behilflich waren, das Kennzeichen des Eigenbaus meines Vaters auszuforschen.


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Zwar habe ich nicht die Liebe für Elektronik, die gereicht hätte für ein Studium zum Diplom-Ingenieur, wie es mein Vater gern gesehen hätte, aber die Liebe für die Technik habe ich sehr wohl von ihm geerbt. Autos waren meine Leidenschaft und sind es auch heute noch. Mein erstes Auto war ein Austin Mini 850, Unfallauto, vom Vater hergerichtet. Ich konnte mir das nur leisten, indem ich alles selber an dem Fahrzeug machte: Zündung mit einem Schraubenzieher und einer Kontrollleuchte einstellen, ohne Stroboskop, nur nach Gehör, oder Ventile einstellen, alles vom Vater gelernt. Auch Reparaturen wurden durchgeführt, egal ob Kühler aus- und einbauen oder auch die Trommelbremsen reinigen, Lager schmieren, oder auch die Bremsbeläge der Trommelbremsen neu aufnieten, war alles vom Vater gelernt. Auch diverse Schmiernippel waren an dem Auto damals noch vorhanden. Ich habe mich sogar getraut, beim Auto meiner ersten, niederländischen Gattin (verstorben 1987), ein Renault 5, den ganzen Motor auszubauen und die Steuerkette zu erneuern. Alles ohne Hilfe des Vaters, der zu dieser Zeit im Krankenhaus lag. Und das Auto lief zu meinem eigenen Erstaunen anschließend bei der ersten Schlüsselumdrehung!


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Auch mache ich vieles selber, wenn etwas an der Hauselektrik zu tun ist. Aber ein ganzes Auto selber zu bauen, so wie mein Vater das gemacht hat, das ist weit jenseits meiner Kompetenzen. Das ist aber auch nicht verwunderlich, ich habe weder eine Elektriker-Ausbildung, noch eine Mechaniker-Ausbildung, so wie er. Mit einer Lehre und einem Hammer ein Stück Blech so zu verformen, dass es ein Kotflügel wird, habe ich schon gar nicht gelernt. Und seien wir ehrlich, auch die Zeiten haben sich gründlich geändert. Es wäre heute fast unmöglich, ein Auto zu bauen und zugelassen zu bekommen, so wie es damals Anfang der 50er-Jahre noch möglich war. Ich habe meinen Vater bis zu seinem Tode immer wieder gebeten, gemeinsam ein Modell seines Autos anzufertigen, aber er sagte mir immer, es gäbe keinerlei Zeichnungen oder Maße seines Fahrzeuges. Erst nach dem Ableben meiner Mutter im Jahre 2010 habe ich, verschollen in einem Kleiderschrank, ein paar Zeichnungen gefunden.

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Dazu muss ich auch sagen, dass mein Vater über Jahre hinweg sehr krank war. Aus meiner Sicht hat er sehr durch den frühen Tod seiner Tochter Machteld gelitten. Und durch seine Krankheit konnte er seine Hände nicht mehr so bewegen, wie er sich das noch gerne gewünscht hätte. Ideen hatte er wohl genug. Bereits vor dem Krieg wurde gemeinsam mit einem Flugzeugbauingenieur an einem kleinen Flugzeug gebaut, das jedoch in den Kriegsjahren von den Deutschen konfisziert wurde und nach dem Krieg fehlte vom Ingenieur jede Spur. Auch zeigte er mir oft eine Zeichnung von einem zweiten Fahrzeug, das er noch hätte bauen wollen. Ich habe leider diese Zeichnung nach seinem Tode nicht gefunden. In meiner Erinnerung lebt es als ein Fahrzeug weiter, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Smart hatte und in seinen Plänen war ein Elektro-Antrieb mit vier Radnabenmotoren integriert. Ein visionärer Techniker, dem leider das Geld und in späteren Jahren auch die Gesundheit fehlte, seine Ideen zu verwirklichen.

Auto fahren habe ich sehr früh gelernt, schon als 7(!)-Jähriger ließ der Vater mich die letzten paar hundert Meter auf öffentlichen Straßen mit seinem selber gebauten Auto nach Hause fahren … Wäre heute wohl ein Ding der Unmöglichkeit.

Mein persönliches Interesse gilt hauptsächlich Oldtimer-Traktoren, allen voran natürlich dem Lanz Bulldog, aber ich habe noch nie den Mut gehabt, mir einen zuzulegen …

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Der Technik-Teil

Im Jahr 1950 fing mein Vater an, sich sein eigenes Auto zu bauen. Vermutlich aus einer Mischung aus technischem Interesse (er war gelernter Elektriker und Mechaniker) und finanziellen Nöten. Er war gebürtiger Deutscher, 1931 in die Niederlande ausgewandert.


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Kurz vor 1950 wurden ja die ersten Porsche- Fahrzeuge hergestellt, zuerst in Gmünd, später in Stuttgart. Ich vermute mal, er wurde sehr von diesem Auto angeregt, da ich noch einen Porsche 356-Prospekt besitze, auf dem er neben den technischen Daten des Porsche, die Daten seines Fahrzeuges niedergeschrieben hatte. Ich denke denn auch, dass er sehr vom Porsche inspiriert war. Die Erinnerungen an dieses Auto stammen aus den ersten neun Jahren meines Lebens, sind also zweifelsohne sehr lückenhaft. Aber meine Liebe zu Autos hat wohl bewirkt, dass auch vieles in meinem Gedächtnis hängen geblieben ist.


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So habe ich in Erinnerung, dass als Chassis für seinen Eigenbau das Chassis eines Volkswagens „Kübelwagens“ diente, also die Militärausführung des Volkswagen KDF-Wagens. Ein paar Eigenarten des Autos sind mir in Erinnerung geblieben: Ich erinnere mich, dass das Auto noch mechanische Bremsen hatte, also mit Bowdenzügen statt mit Hydraulik-Leitungen und dass die Bremsen öfters mal wieder neu eingestellt werden mussten, weil das Auto bei stärkerem Bremsen schief zog. Vater war auch sehr stolz darauf, dass die Karosserie keine Trittbretter hatte, was in jener Zeit noch gar nicht selbstverständlich war. Erwähnenswert scheint mir auch die Tatsache, dass der eingebaute Volkswagen-Boxermotor einen Doppelvergaser hatte. Bei einem Boxermotor eine komplexe Bastelei, da die Zylinderköpfe ja weit auseinander liegen. Er erzählte das dann auch nicht ohne Stolz. Gestartet wurde, ganz modern könnte man fast sagen, mit einem Startknopf. Platz für Gepäck gab es nur wenig: eine Mulde hinter der Rückbank, wie im Käfer, und vorne unter der Haube auch nur wenig Platz, da dort ja auch der Tank war, sowie das vollwertige Ersatzrad. Und bei größeren Strecken viel Werkzeug und Ersatzteile. So wie das halt damals war. Und auch nötig war. Ich erinnere mich an einen gerissenen Gaspedalzug sowie an eine gebrochene Kurbelwelle auf unseren langen Fahrten zu den Großeltern nach Baden-Württemberg; immerhin 600 Kilometer. Viel, für die damalige Zeit. Und natürlich fehlte im Innenraum des Fahrzeuges auch nicht die obligatorische Blumenvase. Das Auto hatte ein Stoff-Roll-Verdeck, ähnlich wie das der Citroen 2CV (Ente), mit einem Plexiglas-Heckfenster, selbstverständlich ohne Heizung. Das Dach ist ihm Ende der 50er-Jahre während der Fahrt bei einem Herbststurm abgerissen und das war der Zeitpunkt einer größeren Renovierung. Aus heutiger Sicht würde man sagen: Facelift! Im Jahr 1955 waren wir mit dem Auto über den Gotthard-Pass gefahren, nach Bellinzona, zu einer Schwester des Vaters, und mussten feststellen, dass wir in fast jeder Haarnadelkurve reversieren mussten, weil die Räder nicht weit genug einlenkten. Auch das wurde während des „Facelifts“ geändert, man erkennt es an den Fotos der zweiten Version: die vorderen Kotflügel sind anders ausgeschnitten. Ein Ornament auf der vorderen Haube musste neuen Gesetzen weichen, das Dach wurde geändert, das Cabrio wurde zum Coupé und das ganze Auto wurde neu lackiert. Erst war es gräulich-weiß, nach dem Facelift war es rot und das Dach weiß lackiert. Farbfotos existieren leider nicht. Die Räder wurden optisch aufgewertet, ein Außenspiegel wurde montiert, die Scheiben-Wisch-Waschanlage modernisiert bzw. neu installiert, Parkleuchten in Höhe der B-Säule montiert, die Stoßstangen optisch aufgewertet, Kotflügel ausgeschnitten und Lenkung angepasst. Der Schriftzug „Special“, so wie das Fahrzeug Familienintern auch genannt wurde, hielt Einzug auf der vorderen Haube.


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1960 wurde beschlossen, dass wir Kinder (damals 9, 16 und 20 Jahre jung) nicht mehr hinten hinein passten. Vater kaufte einen verunfallten Opel Rekord, den er selber herrichtete. Der Eigenbau musste verkauft werden, da die finanziellen Mittel fehlten, um das Fahrzeug zu behalten.

Irgendwann, Anfang der 70er-Jahre dämmerte es mir, dass es hier um das Lebenswerk meines Vaters ging und ich machte mich auf die Suche. Leider musste ich aber feststellen, dass es drei Jahre vorher verschrottet worden war. Schade …

Ich habe das Auto, das uns acht Jahre lang treu gedient hatte, das Lebenswerk meines Vaters, so wie auch ihn selber, in bester und liebevoller Erinnerung.

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